HörBar 20er Jahre

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Mit der dritten HörBar der Kunsthalle Mannheim greifen wir erneut ein aktuelles Ausstellungsthema auf. Die Neue Sachlichkeit bietet sich dabei in besonderer Weise an. Denn die Geburtsjahre des Rundfunks und der funkspezifischen Hörspiele fallen in die gleiche Zeit als Gustav F. Hartlaub, ehemaliger Direktor der Kunsthalle, die stilbildende Ausstellung eröffnete.

Technikbegeisterte und Rundfunkpioniere der ersten Stunde experimentieren seit den 20er Jahren mit dem neuen Medium und ringen mit der Frage, wie sich Wirklichkeit für den akustischen Sinn darstellen und erfahren lässt. Um hyperrealistische Eindrücke zu erzeugen, werden schon früh Raumsettings in völliger Dunkelheit erprobt: Keller, Erdgruben und Stollen ...
Collagetechniken dagegen löschen nicht das Licht, sondern lösen räumliche Strukturen auf und führen die Sinne auf eine Reise voller Überraschungen.
Nach den vielen Eindrücken der Ausstellung schließen Sie also Ihre Augen ... und lauschen in die sternklare Nacht der eigenen inneren Vorstellungswelten.

In der HörBar erwarten Sie sieben Hörstücke. Historische Aufnahmen aus den 20er Jahren oder Remakes aus späterer Zeit.

01  GLEISDREIECK

VON JOSEPH ROTH (1924)
Hörstück für drei Gleise und einen Sprecher
Sprecher, Schnitt, Regie: Heiko Daniels
Produktion: Kunsthalle Mannheim 2024 / 10 min.

Als ein Schlüsseltext der Neuen Sachlichkeit über die Industrialisierung und Technisierung der Welt erschien "Das Gleisdreieck" 1924 erstmalig in der Frankfurter Zeitung. Die Adaption als Hörstück ist eine Neuproduktion anlässlich des Jahrhundertjubiläums "Die Neue Sachlichkeit" in der Kunsthalle Mannheim.

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02 GEFAHR

VON RICHARD HUGHES (1924)
Remake des ersten Original-Hörspiels der Radiogeschichte
Regie: Ulrich Lauterbach
Produktion: HR, RB 1961 / 25 min.

Im Januar 1924 sendete BBC London das erste Original-Hörspiel der Radiogeschichte: 'A Comedy of Danger' von Richard Hughes.  Die Jungverheirateten Jack und Mary sind bei einer Bergwerksbesichtigung hinter ihrer Gruppe zurückgeblieben. Plötzlich geht im Stollen das Licht aus. Wasser dringt ein. Der alte Bax, der ebenfalls eingeschlossen wurde, und Jack streiten sich ohne Rücksicht auf die Frau darüber, wer mehr zu verlieren hat: ein Alter, der das Leben zu schätzen weiß, oder ein Jüngling, der noch viele Jahre vor sich hat. Das Wasser steigt immer höher ... In der HörBar hören Sie ein deutsches Remake aus dem Jahr 1961. "Und jetzt", so wurde das Programm im Jahr 1924 angekündigt, "schließen Sie Ihre Augen!"

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03  WEEKEND

VON WALTER RUTTMANN (1929)
Das erste O-Ton-Collage-Hörspiel
Produktion: Berliner Funkstunde 1929 / 11 min.

Beeinflusst durch sein eigenes Filmschaffen und die Möglichkeiten des Filmschnitts, verwendete Walter Ruttmann für Tonaufnahmen die Tonspuren des frühen Tonfilms: das Lichttonspur- oder Tri Ergon Verfahren. Sein Ziel war ein so genannter 'Hörfilm' fürs Radio. Er nahm für ein Wochenende in der Großstadt Berlin typische O-Töne auf und montierte diese zu einem rhythmisch-musikalischen Hörfilm. Die Produktion galt lange als verschollen, bis die deutschen Hörspielmacher Dieter Hasselblatt und Hansjörg Schmitthenner 1978 in New York eine Band-Kopie fanden.

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04 BRIGADE-VERMITTLUNG

VON PETER JOHANNSEN (1929)
Remake des erfolgreichsten Höspiels der 20er Jahre
Produktion: Rundfunk der DDR 1963 / 44 min.

Das Stück spielt 1918 im Unterstand einer Telefonzentrale an der Westfront und schildert am Schicksal und aus dem Blickwinkel der Brigadevermittlung, die von Tanks überrollt und mit Handgranaten ausgeräuchert wird, das Schicksal der ganzen Front und die Sinnlosigkeit der Materialschlachten des ersten Weltkrieges. Nach der Uraufführung 1929 wurde Johannsens Hörspiel ein Welterfolg.

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05 ZAUBEREI AUF DEM SENDER

VON HANS FLESCH (1924)
Versuch einer Rundfunkgroteske
Regie: Theodor Steiner
Produktion: Hessischer Rundfunk 1962 / 22 min.

"Der Sender ist verrückt, Chaos, Stimmengewirr, Trommelfellangst", schrieb damals ein amüsierter Kritiker. Was war passiert? Der damalige Frankfurter Intendant Dr. Hans Flesch hatte einen ersten Versuch unternommen, mit den technischen Gegebenheiten des neuen Mediums zu spielen und den Rundfunk selbst zum Gegenstand wählte. „Wäre es nicht möglich, mit dem Radio künstlerische Wirkungen zu erzielen, die weder das Theater noch das Konzert, noch das Kino zu Wege bringen?“, fragte die Radio Umschau nach der Ursendung, die als Geburtsstunde des deutschen Hörspiels gilt.

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06 DER OZEANFLUG

VON BERTOLT BRECHT (1929)
Radiolehrstück für Knaben und Mädchen
Regie: Kurt Veth
Produktion: Rundfunk der DDR 1969 / 24 min.

Der Amerikaner Charles Lindbergh überquerte 1927 als erster Mensch den Atlantik in einem Flugzeug. Das Ereignis machte Brecht zur Grundlage seines Radiolehrstücks. Der Flieger stellt sich und seine Maschine vor. Während des Fluges redet er mit Amerika, den Schiffen, denen er begegnet, dem Schneesturm und dem Schlaf, die ihn bezwingen wollen, mit dem Wasser, mit Europa, seinem Motor und der Menschenmenge in Le Bourget, dem Ankunftsort in Europa. Den Originaltitel "Der Lindberghflug" ließ Bertolt Brecht nachträglich ändern, da Lindbergh enge Beziehungen zu den Nazis unterhielt.

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07 GESCHICHTE VOM FRANZ BIBERKOPF

VON ALFRED DÖBLIN (1930)
Hörspielfassung von „Berlin Alexanderplatz“
mit Heinrich George
Regie: Max Bing
Produktion: Funk-Stunde AG (Berlin) 1930 / 75 min.

Biberkopf, früher Zement- und Transportarbeiter, will nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis ein anständiger Mensch werden. So steht er auf dem Alexanderplatz des alten Berlin und betreibt seine kleinen Handelsgeschäfte. Anfangs geht auch alles gut, aber die Zeiten sind schlecht und die Menschen auch. 
Die 1930 angesetzte Ursendung fand nicht statt; ausschlaggebend waren wohl rundfunkpolitische und künstlerische Gründe. Erhalten blieb eine "Versuchsaufnahme", die erst 20 Jahre später ausgestrahlt wurde.

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Kurator der HörBar: Heiko Daniels
(Hörspielmacher, Sprecher, Kurator für auditive Kunst, Juror Hörspiel des Monats und Jahres (2017) Deutsche Akademie der Darstellenden Künste.)

Abb. oben: Max Radler, Der Radiohörer, 1930, Öl auf Leinwand, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München

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