Transkription
Sprecherin:
Entscheidend für das Lebensgefühl der 1920er-Jahre waren die Erfahrungen des Krieges und dessen wirtschaftliche und soziale Folgen. Das Kriegsende ermöglichte einen Neuanfang, doch hatte das Ereignis tiefe Narben hinterlassen. Eine traumatisierte Gesellschaft war auf der Suche nach Halt und Stabilität: gefordert und überfordert von technischen Innovationen, neuen Berufsfeldern und Rollenbildern, Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, wirtschaftlichen Problemen und politischer Gewalt. Die Epoche war von extremen Gegensätzen geprägt.
Sprecher:
Während der von Hartlaub als rechter Flügel kategorisierte Teil der Neuen Sachlichkeit sein Heil in einem konservativen Eskapismus suchte, prangerte der linke Flügel die Schattenseiten der Nachkriegsjahre schonungslos an. Auch Georg Scholz zählte zu den Künstlern, die sich in ihrem Werk veristisch und kritisch zu den Missständen ihrer Zeit äußerten. Scholz wählte hierzu eine Darstellung, die durch satirische, karikaturhafte Überzeichnung gekennzeichnet ist, kombiniert mit eindeutig interpretierbaren Zeichen und Chiffren. Mit dem 1920 entstandenen Bild „Industriebauern“ beziehungsweise „Wucherbauern“ war er 1920 auf der Ersten Internationalen Dada-Messe vertreten. Einige eingeklebte Details verweisen auf typische dadaistische Collagetechniken.
Sprecherin:
Auch wenn die Nachkriegsjahre allgemein von Armut und Elend gekennzeichnet waren, gab es einen konkreten Anlass, der Scholz zu diesem provokanten Werk anregte. Als er, getrieben von Hunger, versuchte, für sich und seine Familie auf dem Land Lebensmittel zu beschaffen, wurde er von einem Bauern grob abgewiesen. Er schlug künstlerisch zurück, indem er die Hässlichkeit, Dummheit, Geldgier und mitleidlose Heuchelei der wohlhabenden Bauernschaft anprangerte, die letztlich vom Krieg profitiert hatte.
Georg Scholz (1890–1945)
Industriebauern / Industrial Farmers
1920
Öl auf Sperrholz / Oil on plywood
98 × 70 cm
Von der Heydt-Museum Wuppertal