Transkription
Sprecher:
(Zitat) „Der Mann begehrt für die Zukunft keinen Einfluß auf die Angelegenheiten der Frau, mit der er zu tun hat; doch hegt er andererseits die Hoffnung, nicht zum Objekt ihres Mitleids herabzusinken. Die Parteien sind gleichgestellt. Im Restaurant bezahlt ein jeder seine Rechnung, beim Fiskus jeder seine Steuern, und zu gleichen Teilen bestreiten sie die Ausgaben für die Kinder. Das Verhältnis des absoluten Gleichgewichts verspricht Gerechtigkeit, Harmonie und sachliche Erfolge.“
Sprecherin:
So wünscht und notiert es der Dichter und Schriftsteller Georg von der Vring 1926. Emanzipation und berufliche Gleichstellung blieben für einen Großteil der weiblichen Bevölkerung jedoch Wunschtraum. Die Lebenswirklichkeit sah anders aus. Weiterhin prägte die harte Arbeit und Not proletarischer Frauen das Lebensbild. Sie mussten in prekären Lebensumständen ihr Dasein fristen. Die Diskussion um den Abtreibungsparagrafen 218 erreichte Anfang der 1930er-Jahre ihren Höhepunkt.
Sprecher:
Mit dem Aufbrechen etablierter Muster entstanden jedoch auch neue Berufe. Etwa die von Siegfried Kracauer beschriebene Schar der Angestellten. Darunter viele Frauen, die Büroberufe ausübten, oder Berufe in der Industrie, wie sie der Dresdner Maler Richard Birnstengel 1927 mit der „Laborantin“ zeigt. Das Porträt ist ganz in die widersprüchlichen Haltungen seiner Zeit verstrickt, in der um ein neues Rollenverständnis gerungen wird. Auf den Punkt bringt es die erste Szene von Kracauers „Angestellten“, wenn ein Abteilungsleiter vor dem Arbeitsgericht die Entlassung einer Angestellten mit den Worten rechtfertigt: „Die Angestellte wollte nicht als Angestellte behandelt werden, sondern als Dame.“
Sprecherin:
Etwas von diesem Konflikt scheint auch in dem Bild von Birnstengel mitzuschwingen. Die Laborantin verkörpert einerseits eine selbstbestimmte und beruflich unabhängige junge Frau, die den korrekten Umgang mit gefährlichen hochgiftigen Substanzen zu verantworten hat. Gleichzeitig wird sie aber von Birnstengel posierend dargestellt und für den männlichen Blick hergerichtet. Das seitlich einfallende Licht auf Wange und Oberkörper wirkt wohl gesetzt wie bei einer Aktaufnahme. Kompetenz, Emanzipation, Devotheit und Fleiß bilden hier einen undurchdringlich ambivalenten Ausdruck.
Richard Birnstengel (1881–1968)
Laborantin / Lab Assistant
1927
Öl auf Leinwand / Oil on canvas
88 × 66 cm
Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Foto:Jürgen Karpinski
© Nachlass Richard Birnstengel