Walker Evans: Erfinder der Dokumentationsfotografie

KUMA BLOG

04.06.20
Thomas Köllhofer

Walker Evans: Erfinder der Dokumentationsfotografie

Walker Evans, der zwischen 1903 und 1975 lebte, war sicher einer der bedeutendsten amerikanischen Fotografen des 20. Jahrhunderts. Es gibt wenige Fotografen, die einen so großen Einfluss auf ganze Generationen nach ihnen hatten. Deshalb gab es zu seinen Lebzeiten und gibt es bis heute zahlreiche unter ihnen, die sich in ihrem Werk teils direkt auf konkrete Arbeiten von Evans beziehen, teils eher allgemeiner auf seine Art zu fotografieren.

Nun fragt man sich, was es war, das seine Arbeit so ganz besonders gemacht hat? Zwei Punkte sind hier besonders hervorzuheben: Evans war überzeugt davon, dass die wichtigste Aufgabe des Fotografen in der wachen Beobachtung der alltäglichen Welt um ihn herum liege. Er meinte, dass es nicht darum ginge, eine besonders kunstvolle Aufnahme zu machen, sondern eher einen Blick für das Schöne, für das Faszinierende des Alltags zu entwickeln und dieses festzuhalten. Entsprechend klebte er einen Zettel an seinen Spiegel mit der Erinnerung: Don´t be arty. Sei nicht künstlich/kunstvoll. In diesem Sinne könnte man sagen, dass Walker Evans der erste Dokumentationsfotograf war. Er beobachtete den Alltag der ganz gewöhnlichen Leute: Arbeiter, Farmer, Handwerker, nicht die Welt der Hochglanzmagazine mit dem Leben der Reichen und Berühmten.

Dies hinderte ihn aber nicht daran, für entsprechende Magazine zu arbeiten. Für die Zeitschrift Fortune, die nach dem zweiten Weltkrieg darauf spezialisiert war, neuestes Design vorzustellen, fotografierte Evans unter dem Titel „Die Schönheit der normalen Werkzeuge“ ganz billige, einfache, aber sehr verbreitete Werkzeuge wie Hammer, Zange oder Meisel. Dazu schrieb er einen Text, in dem er – durchaus etwas ironisch – die besondere Schönheit des Griffs einer Zange beschrieb. Und damit sind wir beim zweiten Punkt. Evans war ein guter Autor und er achtete sehr genau darauf, wo und in welchem Zusammenhang seine Fotografien veröffentlicht wurden. Er gab seine Aufnahmen nicht an Fotoagenturen, sondern er kontrollierte jede Veröffentlichung sehr genau und schrieb in der Regel auch die Texte zu seinen Fotografien selbst. Auch damit wurde er zum Vorbild für viele heutige Fotografen.

Kurioserweise wurde er aber durch eine Fotoserie berühmt, die er für die amerikanische Regierung aufnahm. Er sollte in der Zeit der wirtschaftlichen Rezession in den 1930er-Jahren Fotografien machen, die die zunehmende Armut „porträtierten“. Er fuhr nach Alabama und machte Fotos von Farmpächtern, die trotz härtester Arbeit kaum über die Runden kamen. Seine Aufnahmen der Familie Burroughs sind zu regelrechten Ikonen der Fotografie geworden, weil sie auf bis dahin nicht gekannte Weise ein nüchternes und ausgesprochen zeittypisches Porträt der armen amerikanischen Landbevölkerung wiedergaben.

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