Ein Beitrag von Christina Bergemann

"Der Inhalt der Kunst aber ist der Mensch – zusammen mit seinen Wünschen. Dies alles ist sowohl schön als auch unschön." (1)

Die jungen Künstler*innen von CoBrA verbindet bereits vor ihrem internationalen Zusammenschluss 1948 ein engagiertes Ziel: Konfrontiert mit den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und der Entmenschlichung durch die nationalsozialistische Propaganda wollen sie eine Revolution in der Kunst und im Leben vorantreiben. Über Ländergrenzen und disziplinäre Grenzen hinweg entstehen starke Gegenbilder zu Krieg, Nationalismus und Gewalt. Sie leugnen nicht die Schrecken und die Abgründe der menschlichen Existenz, sondern machen sie zum Thema ihrer Kunst, behalten dabei aber stets den Ausweg aus der Hoffnungslosigkeit im Blick.

Die Kriegszeit und die Avantgarde: Vom Widerstand in Kunst und Gesellschaft

Ich weiß, dass unter den Pfeilen von Sirenen das Echo der Träume verendet. Siehst Du die kleinen Öllampen, die in wahnsinnigen Schlünden zaghaft ihre Bahnen ziehen? Sie schrauben ihr gelbes Auge verworren und scheu in die Finsternis und lächeln – lächeln über dem Grab der Zukunft. Anneliese Hager, Krieg (Auszug), 1947

Der leere Raum wird Erde, wird Berg, Bach und Baum, Tier und Haus: Synthese aus dir und dem anderen: Ersehntes Doppelwesen, das immer wieder zerreißt, sich immer wieder vereint, von Geburt zu Wiedergeburt, von Stufe zu Stufe – in steter Verwandlung. Anneliese Hager, Geburt und Wiedergeburt (Auszug), 1947 (2)

Anneliese Hager, die 1945 in Dresden lebt und arbeitet, experimentiert nicht nur im Medium des Fotogramms, sondern schreibt auch surrealistische Gedichte, die die Abgründe der Zeit aufzeigen, in denen sie entstanden sind. Die Auseinandersetzung mit den Gefühlen der Hoffnungslosigkeit und der Ausweglosigkeit als Folgen des Krieges, der Europa in den 1940er-Jahren fest im Griff hat, steht auch im Zentrum eines Gemäldes von Henry Heerup. Der dänische Künstler, der seit 1940 gemeinsam mit dem Høst-Kollektiv eine den deutschen Besatzern entgegengesetzte Kunstvision verwirklicht, setzt den Kreislauf von Werden und Vergehen in dem Gemälde Krigsmoderen / Kriegsmutter (1943, Öl auf Sperrholz, Statens Museum for Kunst, Kopenhagen) in Szene: Kinder purzeln aus der Mutterfigur im Zentrum des Bildes in die Welt – wachsen heran, machen ihre ersten partnerschaftlichen und intimen Beziehungen – doch schon hier wird der Kreislauf des Lebens unterbrochen durch den Jagdbomber, der den blauen Himmel durchkreuzt und Bomben auf das Paar unter sich abwirft. Ihnen gegenüber werden in Form zerstörter Häuser und eines Friedhofs die Spuren der Verwüstung sichtbar. Die Kriegsmutter mit Tränen im Gesicht hält den Zyklus von Werden und Vergehen am Laufen. In dem Gedicht Geburt und Wiedergeburt setzt Anneliese Hager dem allgegenwärtigen Krieg, der bei Heerup den natürlichen Kreislauf des Lebens unterbrochen hat, etwas Hoffnungsvolles entgegen: das Bild eines Doppelwesens, das der Zerstörung mit der Neuerfindung seines Selbst begegnet und sich immer wieder mit all seinen Facetten und Anknüpfungspunkten in der Natur verortet. Mit der Rückbesinnung auf die Natur als Rückzugsort, aber auch mit all dem, wofür das Tierische steht – dem Instinkthaften, dem Unzähmbaren, dem Emotionalen – können sich die Künstler*innen von CoBrA identifizieren.

In vielfältiger Form tauchen deshalb auch schon vor der Gründung der Gruppe Mischwesen aus Mensch und Tier in den Werken der Künstler*innen auf. Sie sind nicht nur absolute Gegenbilder zu Krieg, Gewalt und Nationalismus, sondern auch Gegenpole zu einer vom Intellekt geleiteten Kunst. Besonders der Vogel wird dabei als ein Symbol für (künstlerische) Freiheit und Frieden verwendet.

Bei Carl-Henning Pedersen erscheint er mit feurig-rotem Gefieder (Røde fugle, 1940, Wasserfarben und Pastell auf Papier, Carl-Henning Pedersen & Else Alfelts Museum, Herning) und bei Ejler Bille als Spadserende Form / Spazierende Form (1933-36, Bronze, Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk), in die subtil aber dennoch eindeutig eine politische Botschaft eingelassen ist: Das Swastikamotiv der Nationalsozialisten zerschmilzt zu einem sich frei und unkonventionell bewegenden Vogel. 1938, als das Ausmaß der Gewalt noch unvorstellbar ist, malt die dänische Künstlerin Sonja Ferlov Mancoba eine wegweisende Komposition (Öl auf Leinwand, Kunstmuseum Brandts, Odense): Trotz oder besser zum Trotz des sich ankündigenden Zweiten Weltkriegs zeigt sie ein tanzendes Wesen, halb Mensch, halb Tier, halb Maske – es sieht mit seinen großen Augen im wahrsten Sinne des Wortes Rot (Orange) und erinnert dabei an ein Skelett, das einen Totentanz aufführt. In Paris hatte Ferlov im selben Jahr den südafrikanischen Künstler Ernest Mancoba kennengelernt. Die beiden werden ein Paar und heiraten 1942. Gemeinsam suchen sie nach universellen Zeichen in der Verbindung der Kunst europäischer und außereuropäischer, insbesondere afrikanischer, Kulturen. Zwei Symbole schweben im Einklang miteinander über dem tanzenden Wesen: Der umrandete Stern weckt Assoziationen zur südafrikanischen Ubuntu-Philosophie, die ein friedvolles, respektvolles Zusammenleben und den individuellen Beitrag eines*r Jeden in Bezug zu seiner*ihrer gesellschaftlichen Verantwortung betont. Auf einer Ebene schwebend, steht das Symbol des Kreuzes für den christlichen Glauben und das Konzept der Nächstenliebe. Ganz im Zeichen der späteren Vision von CoBrA zeigt das Bild daher den Anspruch, eine interkulturelle Kunst und damit eine modernisierte Vorstellung der Volkskunst zu schaffen, indem es den Blick auf das Verbindende zwischen Menschen lenkt – auf das grüne Herz, das das Wesen und seinen Tanz antreibt.

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Jugend, Rebellion, Kollektiv: Eine freie Kunst in einer unfreien Gesellschaft?

Hierin liegt die heute noch augenscheinliche Modernität der künstlerischen Rebellion des CoBrA-Kollektivs begründet. Viele Künstler*innen engagieren sich während der deutschen Besatzungszeit ihrer Heimatländer auch politisch und aus dem Untergrund heraus gegen die Kulturpropaganda der Nationalsozialisten. Den Krieg und seine Folgen, aber auch kolonialistische Strukturen der Unterdrückung führen sie auf das Scheitern der sogenannten westlichen Hochkultur zurück. Auch ihre künstlerischen Vorbilder wie Paul Gauguin, Paul Klee oder Paul Cézanne geraten in die Kritik der Avantgarde. Es schärft sich das Bewusstsein dafür, dass es nicht darauf ankommt, sich einer modernistischen Kunstströmung anzuschließen, sich für den Weg der Abstraktion oder der Figuration zu entscheiden, sondern authentische Formen der Darstellung zu finden, die sich aus der Fantasie vieler unterschiedlicher Perspektiven speist. Künstlerinnen wie Else Alfelt oder Sonja Ferlov Mancoba finden treffende Worte für die pazifistisch-demokratische Botschaft ihrer Kunst:

"Wir erobern nichts – wir selbst sind ein Teil – im Raum der Planeten, Sonnen und Monde." (Else Alfelt)

"Nur miteinander können wir leben und atmen, und niemand ist alleine kreativ." (Sonja Ferlov Mancoba)

Wir erobern nichts, schreibt Else Alfelt, wir müssen nichts einnehmen, nichts kriegerisch erkämpfen, um Teil eines Netzwerks, eines Kollektivs zu sein oder unseren künstlerischen Beitrag zu leisten. In Aussagen wie diesen findet sich auch die Betonung kollektiven Arbeitens und damit einhergehend die Ablehnung der Vorstellung eines genialen (weißen, vorwiegend männlichen) Künstlers, die in den modernistischen Kunstströmungen des Expressionismus und der Abstraktion vorherrschte. CoBrA steht für den Bruch mit alten Vorbildern und Konventionen künstlerischer Schönheit. Die Jugend, das Rebellische, die Sehnsucht nach Freiheit ist in der Kunst und den Texten, die ab Ende der 1930er- bis in die 1940er-Jahre hinein entstehen, regelrecht spürbar und wird umso deutlicher, wenn der niederländische Künstler Constant 1949 in seinem Text C’est notre désir qui fait la révolution / Unser Verlangen macht die Revolution schreibt:

Für uns, die Menschen des 20. Jahrhunderts, ist jede Rede über das Verlangen eine Rede über das Unbekannte, da wir nichts anderes von der Macht unserer Wünsche wissen, als dass sie auf ein unermessliches Verlangen nach Freiheit hinauslaufen. […] Das Leben selbst verlangt das Schöpferische, und die Schönheit selbst ist das Leben! Wenn also die Gesellschaft sich gegen uns und unsere Werke erklärt, indem sie uns vorwirft, sozusagen ‚unverständlich‘ zu sein, dann antworten wir: […] Dass wir auch nicht ‚verstanden‘, sondern befreit werden wollen, und dass wir aus denselben Gründen zum Experimentieren verurteilt sind […]. Die Menschheit – und wir mit ihr – hält Ausschau nach ihrem Verlangen, wir werden es bekannt machen […].(4)

Im selben Jahr entsteht das Gemälde mit dem Titel À nous, la liberté / Uns gehört die Freiheit (Öl auf Leinwand, Tate Gallery of London). Hier schweben magische Geschöpfe, Tierwesen und menschliche Figuren vor einem nächtlichen Himmel. „Ein Bild ist keine Konstruktion aus Farben und Linien, sondern ein Tier, eine Nacht, ein Schrei, ein Mensch – oder all das zusammen.“(5) – schreibt Constant. In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch die Kunst von CoBrA – zwischen dem Unbeschreiblichen, den Abgründen menschengemachter Alpträume und dem Hoffnungsvollem, dem Neubeginn, der Lebensfreude. Nach der Auflösung der Gruppe 1951 ändert Constant den Titel des Bildes zu Après nous, la liberté / Nach uns die Freiheit, weil er Zweifel daran hat, ob eine freie Kunst in einer immer noch unfreien Gesellschaft existieren kann.


Abbildungen

Abb. 1: Sonja Ferlov Mancoba, Komposition, 1938, Kunstmuseum Brandts, Odense
Abb. 2: Carl-Henning Pedersen, Røde fugle, 1940, Carl-Henning Pedersen & Else Alfelts Museum, Herning
Abb. 3: Ejler Bille, Spadserende Form, 1933–36, Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk
Abb. 4: Gruppenfoto anlässlich der Høst-Ausstellung in Kopenhagen (November–Dezember 1948), Cobra Museum of Modern Art, Amstelveen

Fußnoten

(1)Asger Jorn: Sozialistische Heringe, realistische Ölfarben und Volkskunst. In: Cobra Nr. 5, Hannover, November 1950. Zit. nach: ders. und Hanna Mittelstädt, Heringe in Acryl. Heftige Gedanken zu Kunst und Gesellschaft, Hamburg 1987, S. 35-37, hier S. 36.   Die Gedichte Krieg und Geburt und Wiedergeburt stammen aus der Prosadichtung Die rote Uhr.
(2)Anneliese Hager: Die Rote Uhr und andere Dichtungen, hrsg. v. Rita Bischof und Elisabeth Lenk, Zürich 1991, S. 35 und S. 37.
(3)Else Alfelt zitiert und übersetzt nach Eva Pohl: A Luminous Dream of Connectedness. In: Hanne Lundgren Nielsen: Else Alfelt. The Aestehtics of Emptiness, Herning 2010, S. 39 / Sonja Ferlov Mancoba in einem Brief an Troels Andersen, 15. November 1979. Übersetzt nach Dorthe Aagesen und Mikkel Bogh: Sonja Ferlov Mancoba: Figure, Voices, and Space. In: Sonja Ferlov Mancoba. Mask and Face, hrsg. v. Cecilie Høgsbro Østergaard, Kopenhagen 2019, hier S. 119.
(4)Zit. nach der deutschen Übersetzung ihres 1949 in Le Petit Cobra (Nr. 1, Brüssel) veröffentlichten Textes in Pierre Gallissaires (Hg.), Cobra. Nach uns die Freiheit!, Hamburg 1995, hier S. 13.
(5)Constant, „Manifest“, in: Reflex, 1, 1948, zit. nach Cobra. 1948–51, hrsg. von Uwe M. Schneede, Ausst.-Kat. Hamburger Kunstverein, Hamburg, Berlin 1982, hier S. 16.

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